Die Unterkieferprotrusionsschiene (UKPS), welche vielen Menschen als sog. "Anti-Schnarchschiene" ein Begriff ist, wird auch zur Behandlung einer Schlafapnoe eingesetzt. Nämlich dann, wenn die Standardtherapie mit CPAP-Maske gescheitert ist und eine Maskenintoleranz vorliegt. Aber mit welchen Kosten ist eine solche Schiene verbunden, wann muss man zum Zahnarzt und welche Voraussetzungen müssen für eine erfolgreiche Anwendung erfüllt sein?
Die Unterkieferprotrusionsschiene (UKPS) ist eine von mehreren alternativen Behandlungsmöglichkeiten für Betroffene mit leichter bis mittelschwerer obstruktiver Schlafapnoe (OSA). Sie wird seltener auch als mandibuläre Protrusionsschiene bezeichnet.
Lesen Sie hier, wie die Behandlung mit der sogenannten Unterkieferschiene funktioniert, wie die Protrusionsschiene eingestellt wird, bei welchen Erkrankungen sie noch helfen kann, warum sie auch „Schnarchschiene“ genannt wird, welche Therapieeffekte zu erwarten sind und mit welchen Nebenwirkungen zu rechnen ist.
Bei der Unterkieferprotrusionsschiene handelt sich um ein zweiteiliges Schienensystem für Unter- und Oberkiefer, mit dem der Unterkiefer und die Zunge etwas nach vorne verlagert werden. Die Schienen werden aus transparentem Kunststoff maßgefertigt und sind über seitlich angebrachte Stege miteinander verbunden. Für die Vermessung des Kiefers und eine Voruntersuchung ist ein Besuch beim Zahnarzt notwendig.
Durch die Protrusion – das Vorschieben des Unterkiefers – sollen die Atemwege im Schlaf stabilisiert bzw. die Verengung und der Verschluss verhindert werden, so dass es nicht zu Atemaussetzern kommt. Gleichzeitig soll die Zunge daran gehindert werden, nach hinten zu rutschen und die Atemwege zu blockieren.
Eine UKPS wird nur beim Schlafen getragen. Wichtig ist, dass die Anwendung konsequent und auf Dauer erfolgt – was im Klartext bedeutet „lebenslang“.
Vielleicht haben Sie schon von der Schnarchschiene oder Anti-Schnarchschiene gehört? Auch damit ist die UKPS gemeint, welche bei leichter und mittlererschwerer Schlafapnoe zum Einsatz kommt. Denn die Funktionsweise hilft auch gegen Schnarchen. Der mechanische Vorgang, der harmlose Schnarch-Geräusche verursacht ist derselbe, der in extremerer Ausprägung auch zum vollständigen Verschluss der Atemwege im Rahmen einer Obstruktiven Schlafapnoe führen kann.
Durch eine Unterkieferprotrusionsschiene wird der Unterkiefer in Position gehalten und gestreckt, um einer Verengung der Atemwege entgegenzuwirken. Die Zunge wird daran gehindert, in den Rachen zu rutschen und die Rachenmuskulatur steht unter Zug, wird also am Erschlaffen gehindert. Es kommt zu keiner Verengung mehr und der Atemluftstrom verlangsamt sich. Atemaussetzer werden verhindert und auch das Schnarchen lässt nach.
Für Schlafapnoe-Betroffene aber „nur“ ein erfreulicher Nebeneffekt, denn hier zielt die Behandlung mit der UKPS eigentlich darauf ab, den gefährlichen Verschluss der Atemwege im Schlaf zu verhindern. Denn unbehandelt kann eine Schlafapnoe weitaus gefährlichere Folgeerkrankungen und Begleiterscheinungen mitsichbringen als das lediglich lästige Schnarchen.
OSA-Therapien wie die Unterkieferprotrusionsschiene zielen darauf ab, einen Verschluss der Atemwege im Schlaf zu verhindern. Denn wenn die obere Atemmuskulatur im Schlaf so stark erschlafft, dass es nicht nur zu einer Verengung und lautem Schnarchen, sondern zu einem vollständigen Verschluss kommt, sind Atemaussetzer die Folge. Und das mehrmals pro Nacht. Bei schweren Formen der Schlafapnoe kann es sogar zu hunderten Atemwegsverschlüssen pro Nacht kommen. Wiederholte Atemaussetzer im Schlaf sind das Gefährliche an der obstruktiven Schlafapnoe und bergen diverse Folgen & Risiken.
Auf einen Blick: Wirkweise der Unterkieferprotrusionsschiene bei OSA und Atemaussetzern
Angesichts des komplexen Krankheitsbildes müssen sich Behandlungsmöglichkeiten bei Obstruktiver Schlafapnoe daran messen lassen, inwieweit sie die verschiedenen Beschwerden und Komplikationen der OSA günstig beeinflussen. Zu den nachgewiesenen Effekten der Unterkieferprotrusionsschiene hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) 2020 einen Bericht veröffentlicht, den man sich als PDF herunterladen kann.1
Als erstes wird bei der Bewertung von OSA-Therapien in der Regel der Einfluss auf die Tagesmüdigkeit unter die Lupe genommen, denn die ist das Leitsymptom der Obstruktiven Schlafapnoe. Laut IQWiG-Bericht kann auf Basis der verfügbaren Studien als gesichert gelten, dass die Tagesmüdigkeit von OSA-Betroffenen durch das Tragen einer Unterkieferprotrusionsschiene gebessert wird.
Die Studien vergleichen Betroffene, die mit einer Unterkieferprotrusionsschiene versorgt wurden, mit denen, die keine Behandlung oder eine Placeboschiene (ohne Protrusionseffekt) erhalten hatten. Außerdem wurden Studien ausgewertet, in denen die Schienenbehandlung mit der OSA-Standardtherapie – also der Überdruckbeatmung mittels CPAP-Maske – verglichen wurde. Sowohl bei Tagesmüdigkeit als auch bei Fatigue zeigten sich bei leichten bis mittelschweren OSA-Formen, gleichwertige Ergebnisse zur Standardbehandlung.1
Darüber hinaus wurden die Studien auf Effekte hinsichtlich Schlafqualität, geistiger Leistungsfähigkeit, depressiver Verstimmung und Kopfschmerzen „durchforstet“, aber zu keinem dieser Punkte ließ sich ein klarer Nutzen nachweisen. Andererseits gebe es aber auch keine Hinweise, dass eine Schienenbehandlung im Vergleich zur Standardtherapie von Nachteil ist. Zur Frage, ob die Schienenbehandlung OSA-Komplikationen wie Herzinfarkte verhindern und die Sterblichkeit senken kann, liegen keine Studien vor.
Die Leitlinienempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin erklären die Unterkieferprotrusionsschiene bei leichter bis mittelschwerer OSA für geeignet.2 Die Schienenbehandlung ist eine von mehreren Optionen für Betroffene, die eine Überdruckbeatmung nicht tolerieren. Das sind nicht wenige, denn die aktuelle Standardtherapie ist durch Nebenwirkungen belastet. Weiterhin richtet sich die Auswahl der Behandlung danach, inwieweit ein Betroffener die Voraussetzungen für die verschiedenen Methoden erfüllt. So kann die Versorgung mit einer Unterkieferprotrusionsschiene nur dann etwas bringen, wenn sich eine nennenswerte Vorverlagerung des Unterkiefers erzielen lässt. Außerdem muss der Zahnstatus so beschaffen sein, dass eine Schiene an den vorhandenen Zähnen stabil und sicher fixiert werden kann. Weiterhin müssen bestimmte Erkrankungen ausgeschlossen sein. Zum Beispiel darf keine Funktionsstörung des Kiefergelenks vorliegen, die sich durch das Tragen der Schiene verschlechtern könnte. Arthrotische Veränderungen des Kiefergelenks können zu solchen Funktionsstörungen führen, die manchmal von knackenden Geräuschen im Kiefergelenk begleitet werden. Auch sollte keine chronische Zahnfleischentzündung (Paradontitis) bestehen, da diese durch die Schiene beschleunigt werden könnte.
Übrigens eignet sich die Unterkieferprotrusionsschiene auch zur Behandlung anderer Leiden:
Auf einen Blick: Voraussetzungen für eine Unterkieferprotrusionsschiene
Das Tragen der Unterkieferprotrusionsschiene ist nicht frei von Nebenwirkungen.2 Die meisten Nebenwirkungen treten nur am Anfang der Behandlung auf und verschwinden oft von selbst, wenn der Betroffene sich an die Schiene gewöhnt hat. Diese wird anfangs oft als Fremdkörper empfunden und kann einen Würgereiz verursachen. Manche klagen über Mundtrockenheit, andere über einen vermehrten Speichelfluss. Spannungsgefühle und Schmerzen kommen ebenfalls vor, wobei die Zähne und das Zahnfleisch ebenso betroffen sein können wie die Kaumuskulatur. Bei manchen Personen ruft die Schiene auch Krämpfe der Kaumuskulatur hervor.
Bevor die Schiene angepasst wird, wird das Gebiss sorgfältig untersucht und – falls erforderlich – saniert. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass schon mal Füllungen, Kronen oder Ersatzzähne unter dem Druck der Schiene ins Wackeln geraten. Denn schon minimale Druckveränderungen können ausreichen, um das sensible Gefüge aus Ober-/Unterkiefer und Zähnen aus der Balance zu bringen.
Es kann deshalb beim Tragen der Schiene auch zu Verschiebungen der Zähne und einem veränderten Aufbiss kommen. Viele bemerken zu Beginn der Therapie, dass der Kontakt zwischen Ober- und Unterkiefer vor allem morgens „irgendwie anders“ ist. In vielen Fällen verschwinden diese Beschwerden aber mit der Zeit. Problematisch sind langfristige Veränderungen von Zahnstellung und Zahnkontakt.3 Mittels MRT (Magnetresonanztomographie) lassen sich solche Veränderungen nachweisen, die nicht zwingend mit Beschwerden einhergehen. Negative Auswirkungen auf das Kiefergelenk scheint die Behandlung mit einer Unterkieferprotrusionsschiene nach aktuellem Kenntnisstand nicht zu haben.3
Auf einen Blick: Nebenwirkungen der Unterkieferprotrusionsschiene
In die Betreuung von Betroffenen mit Obstruktiver Schlafapnoe sind Ärzte unterschiedlicher Fachdisziplinen eingebunden. Erste Anlaufstelle ist in der Regel der Hausarzt, der meist auch im weiteren Verlauf die erforderlichen Maßnahmen koordiniert. Zur Sicherung der Diagnose im Schlaflabor und auch bei der Behandlung werden Schlafmediziner hinzugezogen, die auf „Schlafkrankheiten“ spezialisiert sind.
Bei der Schienenbehandlung kommt als weiterer Arzt der Zahnarzt ins Spiel.3 Im ersten Schritt wird der Zahnarzt überprüfen, ob die Versorgung mit einer Unterkieferprotrusionsschiene grundsätzlich möglich ist. Hierzu wird eine Basisdiagnostik zu Zahnstatus und Parodontalzustand vorgenommen. Erst dann gibt der Zahnarzt grünes Licht oder auch nicht. Hierbei handelt es sich um eine erste Vorentscheidung, ob Unter- und Oberkiefer für eine langfristige Anwendung der UKPS geeignet ist, also belastbare anatomische Voraussetzungen bietet. Neben der Analyse des Gebisstypen ist auch die Funktionsanalyse entscheidend. Das Gebiss muss einer festen Verankerung der Unterkieferprotrusionsschiene standhalten können. Erst dann folgt die Protrusionsbissnahme.
Vor der Anfertigung einer Unterkieferprotrusionsschiene müssen Zahndefekte abschließend saniert und Zahnfleischentzündungen ausgeheilt werden. In jedem Fall sollte die Unterkieferprotrusionsschiene individuell nach einem Kiefer-/Zahnabdruck angefertigt werden. Konfektionierte – vorgefertigte – Schienensysteme können mit einer individuell angepassten Schiene nicht mithalten. Der Sitz einer neuen Schiene sollte engmaschig kontrolliert werden. Außerdem sollten Sie Ihrem Zahnarzt bzw. Hausarzt über alles Bericht erstatten, was Ihnen beim Tragen der Schiene auffällt, sei es positiv oder negativ.
Auf einen Blick: die einzelnen Behandlungsschritte
Die Unterkieferprotrusionsschiene ist keine gesetzlich festgelegte Leistung der Krankenkassen. Viele Kassen übernehmen die Kosten für eine Schienenbehandlung aber zumindest anteilig, wenn sie – wie im Fall einer Obstruktiven Schlafapnoe – medizinisch begründet ist. Zum Nachweis benötigen Sie die Bescheinigung der OSA-Diagnose sowie eine ärztliche Verordnung der Unterkieferprotrusionsschiene – beides von einem Schlafmediziner ausgestellt. Weiterhin muss nachgewiesen werden, dass die Überdruckbeatmung mittels CPAP-Maske bei Ihnen nicht durchführbar ist oder wegen Unverträglichkeit abgebrochen werden musste. Am besten klären Sie die genauen Bedingungen für eine Kostenübernahme im Vorfeld mit Ihrer Krankenkasse ab.
Neben medizinischen Aspekten ist die Patientenzufriedenheit ein entscheidendes Kriterium bei der Therapieauswahl. Die Akzeptanz ist umso wichtiger, als die Behandlung der Obstruktiven Schlafapnoe immer eine Therapie auf Dauer ist. Die Unterkieferprotrusionsschiene ist nur eine Option für Betroffene, die eine Überdruckbeatmung nicht tolerieren.
Als alternative Behandlungsoption, die Ärzte und Betroffene gleichermaßen überzeugt, bietet sich die Implantation eines Zungenschrittmachers an. Das System misst kontinuierlich den Atemrhythmus. Kommt es zu Unregelmäßigkeiten, tritt der unterhalb des Schlüsselbeins sitzende Schrittmacher in Aktion. Er stimuliert den Zungenmuskel und verhindert, dass dieser im erschlafften Zustand nach hinten rutscht und die Atemwege blockiert. Die OSA-typischen Atemaussetzer werden so vermieden. In der Folge lässt Tagesmüdigkeit nach und die Leistungsfähigkeit steigt wieder an. Das ist durch Studien an vielen tausend Betroffenen dokumentiert. Die Zufriedenheit mit der Inspire Therapie liegt bei über 90 Prozent.4
Über 31.500 Patient*innen weltweit können dank der Inspire Therapie wieder entspannt durchschlafen. Der Zungenschrittmacher arbeitet im Einklang mit dem natürlichen Atemrhythmus und vermindert nächtliche Atemaussetzer deutlich – ganz ohne CPAP-Maske.
Quellenangaben
1 IQWiG-Bericht Nr. 881: Unterkieferprotrusionsschiene bei leichter bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe bei Erwachsenen, Abschlussbericht vom 7.5.2020
2 Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Online verfügbar unter www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/063-001l_S3_SBAS_2017-08_2.pdf; Zuletzt abgerufen: August 2020
3 Lüpke M: Die Rolle des Zahnmediziners bei der Behandlung schlafbezogener Atmungsstörungen, ZMK 2015. Online verfügbar unter: www.zmk-aktuell.de/fachgebiete/allgemeine-zahnheilkunde/story/die-rolle-des-zahnmediziners-bei-der-behandlung-schlafbezogener-atmungsstoerungen__1382.html; Zuletzt abgerufen: August 2020
4 Heiser C, Steffen A, Boon M et al. Post-approval upper airway stimulation predictors of treatment effectiveness in the ADHERE registry. Eur Respir J 2019; 53(1):1801405.